Beitragsseiten

Auf diesem 60 Ar großen "Stückle" in Bonlanden befindet sich buchstäblich ein Stück Landesgeschichte. Nicht nur weil die älteste Sorte seit 1396 bekannt ist, sondern weil viele dieser alten und inzwischen sehr seltenen Obstbäume lange Zeit eine Ernährungsgrundlage der Bevölkerung waren. Auf der Streuobstwiese zwischen Bildungszentrum Seefälle und Fildorado wurde 1987 dieser faszinierende Genpool typischer Filderarten, bestehend aus 73 historischen Apfel-, Birnen- und anderen Obstbäumen, angelegt. Ausgestattet mit besucherfreundlichen Infotafeln ist der Garten für Obstinteressierte frei zugänglich und besonders im Frühling ein malerisches Blütenmeer.

 

Schild Champangner Bratbirne im Museumsobstgarten Filderstadt

Geschichte
Dort wo Ackerbau nicht möglich oder unattraktiv ist, finden wir Streuobstwiesen. So wurden in der Vergangenheit die Potenziale optimal genutzt und für die heutige Zeit Kulturlandschaften hinterlassen. Arten wie die vielzähligen Streuobstbäume haben sich im Lauf der Jahrhunderte im Hinblick auf Schädlingsresistenz und Robustheit gegenüber Witterungs- und Umwelteinflüssen dem Standort Filderebene angepasst. Die Idee hinter dem Garten war eigentlich der Schutz dieser inzwischen selten gewordenen Streuobstarten der Filder. Ende der 80iger Jahre stellte man fest, dass aufgrund von Unwirtschaftlichkeit zusammenhängend mit Straßen- und Siedlungsbau auch in Filderstadt ein rapider Rückgang zu verzeichnen war, obwohl sie schon seit Jahrhunderten ein prägendes Bild der Filder-Kulturlandschaft sind. Nicht aber nur ein Rückgang in der Fläche, sondern auch in der Vielfalt der Arten. Es sollte nun also verhindert werden, dass Wissen über und die Arten selbst zurückgehen. In Plattenhardt beispielsweise waren bis zu 70 Birnensorten verzeichnet, was in den letzten Jahren aber nur noch auf 30 Erhaltene bewahrt werden konnte und das auch nur durch kontinuierliche Sammlung alter Obstsorten. Die Birne ’Großer Hundsmäuler’ ist beispielsweise nur noch auf den Fildern vorhanden. Der Museumsobstgarten steht also nicht nur für Vielfalt und Rarität, sondern ist auch ein wichtiger Genpool. 1987 wurde dann der Museumsobstgarten zum Schutz, zur Erkundung und zum Zusammentragen dieser spezifischen Obstsorten von der Stadt Filderstadt angelegt. Durch dieses Engagement sind heute knapp über 70 Sorten verschiedener Obstbäume mit diversen Veredelungen vorhanden. Mit Infotafeln ausgestattet, bieten sie auf einen Blick alles Wissenswerte über die Sorte und deren Früchte. Gleichzeitig soll die Bevölkerung dazu angeregt werden, ihrerseits alte, lokale und seltene Hochstämme anzupflanzen und zu pflegen.

Sorten
Die verschiedenen Sorten sind Kulturgut. Regionaltypische Apfelsorten sind zum Beispiel der ’Hofapfel’, der ’Rosenapfel vom Schönbuch’ oder der ’Gerbermichel’. Manche Obstsorten sind sogar nur auf den Fildern bekannt. Der ’Große Hofapfel’ (im Garten die Nummer 56; nachzuvollziehen an der Schautafel, siehe Bild 1) ist ein Tafel-, Saft- und Mostapfel, der seit 1791 im Plattenhardter Ortsverzeichnis erwähnt ist. Ab Anfang Oktober kann man diese saftigen, süßen, jedoch mit leichter, angenehm säuerlicher Note schmeckenden Äpfel verzehren. Von der Birnenfraktion sind ’Hundsmäuler’, ’Gelbe Wadelbirne’ und die ’Champagner Bratbirne’ ausgewählte Sorten. Bereits 1760 wurde aus der ’Champagner Bratbirne’ Schaumwein hergestellt, das war 66 Jahre bevor in Deutschland Sekt aus Trauben gemacht wurde. Diese Art findet sich im Garten unter der Nummer 42, wird wie gesagt für die Herstellung von Schaumwein verwendet, ist aber auch eine Most- und Brennbirne. Die mittelgroßen bergamottförmigen Früchte sind Anfang bis Mitte Oktober reif und zwei bis drei Wochen haltbar. Ihr Zuckergehalt liegt mit 65° bis 75° Öchsle relativ hoch. Die älteste im Fildergebiet noch kultivierte Birnensorte ist die ’Gelbe Wadelbirne’ (Nummer 1). Ihren Namen verdankt diese Frucht wohl ihrem Aussehen, das an eine Wade erinnern soll. Durch ihren hohen Gerbstoffgehalt ist sie im rohen Zustand ungenießbar, jedoch als gedörrte Variante eine wahre Köstlichkeit. Sie soll bereits 1396 in der Schweiz schriftlich erwähnt worden sein. In Filderstadt ist sie allerdings erst seit dem 15. Jahrhundert bekannt. Weiter gibt es Süßkirschen, Zwetschgen, Pflaumen, sowie Ebereschen, Speierlinge und eine Aprikose.

.Infotafel      Museumsobstgarten Überblick      Muesumsobstgarten Souvenir des Charmes (Tafelkirsche)      

 IMG 1804

 


Im Folgenden sind alle im Museumsobstgarten anzutreffenden Obstsorten aufgelistet:
Obstsorten im Museumsobstgarten, Stand 30.05.2014

Apfelsorten:

Nr. 3: Kleiner Fleiner
Nr. 4: Gerber Michel
Nr. 5: Goldrenette aus Blenheim
Nr. 8: Herrenapfel
Nr. 15: Strauwalds Goldparmäne
Nr. 19: Adersleber Kalvill
Nr. 20: Melrose
Nr. 21: Luikenapfel
Nr. 22: Weißer Wintertaffetapfel
Nr. 23: Roter Bellefleur
Nr. 25: Roter Eiserapfel
Nr. 26: Osnabrücker Renette
Nr. 27: Rosenapfel vom Schönbuch
Nr. 30: Schneiderapfel
Nr. 31: Jakob Lebel
Nr. 32: Sonnenwirtsapfel
Nr. 35: Hohewart
Nr. 37: Glockenapfel
Nr. 38: Danziger Kantapfel
Nr. 40: Blochingers Sämling
Nr. 43: Karl Hihn
Nr. 44: Muskatellerluiken 
Nr. 45: Berner Rosenapfel
Nr. 47: Schafsnase
Nr. 50: Kleiner Langstiel
Nr. 53: Kardinal Bea
Nr. 56: Großer Hofapfel
Nr. 59: Roter Winterkalvill
Nr. 60: Rote Sternrenette
Nr. 65: Ribston Pepping
Nr. 66: Schnabelsapfel
Nr. 67: Champagner Renette
Nr. 68: Jakob Fischer 
Nr. 69: Französische Goldrenette
Nr. 70: Purpurroter Cousinot
Nr. 71: Adamsapfel


Birnensorten:

Nr. 1: Gelbe Wadelbirne
Nr. 2: Großer Katzenkopf
Nr. 6: Gelber Löwenkopf
Nr. 9: Speidelbirne
Nr. 11: Sommerapothekerbirne
Nr. 13: Sommerfeigenbirne
Nr. 14: Aurate
Nr. 16: Stuttgarter Geißhirtle 
Nr. 17: Gute Luise
Nr. 24: Palmischbirne
Nr. 34: Sommerblutbirne
Nr. 39: Nägelesbirne
Nr. 41: Salzburger Birne
Nr. 42: Champagner Bratbirne 
Nr. 51: Herzogin Elsa
Nr. 52: Karcherbirne
Nr. 54: Langstielerin
Nr. 55: Hundsmäuler
Nr. 58: Knausbirne
Nr. 72: Oberösterreicher Weinbirne
Nr. 73: Schweizer Wasserbirne


Wildobst:

Nr. 10: Speierling 
Nr. 18: Eberesche
Nr. 57: Speierling
Nr. 61: Myrobalane
Nr. 62: Zibarte


Steinobst:

Nr. 7: Echte Walnuss
Nr. 12: Frühe Mirabelle
Nr. 28: Süßkirsche
Nr. 29: Gelbroter Spilling
Nr. 33: Mirabelle aus Nancy
Nr. 36: Schattenmorelle
Nr. 46: Kriechele
Nr. 48: Hedelfinger Riesenkirsche
Nr. 49: Souvenir des Charmes
Nr. 63: Hauszwetschge
Nr. 64: Dattelzwetschge


Erläuterungen zu jeder Sorte wurden von Dr. Walter Hartmann (Universität Hohenheim) ausgearbeitet.



Pflege
Da der Garten jederzeit öffentlich zugänglich ist, ist eine gewisse Pflege nicht nur wegen der eigentlichen Baumpflege sehr wichtig. Zur Pflege und Veredelung wurde ein "Arbeitskreis Museumsobstgarten" eingerichtet, der sich aus Ehrenamtlichen, den Obst- und Gartenbauvereinen und dem Umweltschutzreferat Filderstadt zusammensetzt. Außerdem wird das Projekt getragen von Vertretern des Landschaftspflegebetriebs und dem Institut für Obst-, Gemüse- und Weinbau der Uni Hohenheim. Gepflegt wird unter anderem durch Schafbeweidung, mit Vorsommer-, Sommer- und Herbstweide. Kleinere Arbeiten werden natürlich auch sorgsam "von Hand" ausgeführt, wie die Schnitte der Bäume, die meist von Bundesfreiwilligendienstlern in Zusammenarbeit mit der Firma Weber und engagierten Privatpersonen erledigt wird. Das Obst wird an soziale Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten oder Veranstaltungen wie die Herbstaktionstage gegeben. Gleichzeitig steht es aber jedem frei, die verschiedenen Sorten zu probieren.


Heute gibt es immer wieder Projekte zur weiteren Pflege des Gartens. Beispielsweise Veredelungen oder Neupflanzungen. Auch touristisch wird nach dem Rechten geschaut. Beispielsweise wurden im Juni 2013 gemeinsam mit den Streuobstwiesen-GUIDES die Informationsschilder an jedem Baum erneuert und zwei große Infotafeln aufgestellt, die eine kurze Einführung sowie einen Überblick geben. Jeweils mit QR-Codes ausgestattet und kurzen Erläuterungen zur Verwendung, zur Pflück- und Genussreife und zur Besonderheit jeder Sorte, versteht sich der Museumsobstgarten auch als Wissensvermittler und Interessen-Wecker. Tatsächlich lässt sich beobachten, dass sich das Interesse der Bevölkerung an alten Obstsorten erhöht hat und nicht mehr unbedingt der Normapfel gefragt ist. Es wird mehr Wert auf Geschmack gelegt. Kombiniert mit der innerstädtischen Erholung lässt sich hier das ein oder andere Geschmackserlebnis durchaus erleben.